Vier neue Stolpersteine – Erinnerung an die Recklinghäuser Familie Wieler

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Die Kellerstraße 21 liegt mitten in der Recklinghäuser Innenstadt, ganz in der Nähe der Sparkassenfiliale am Viehtor. Hier stand zur Zeit der Nationalsozialisten ein sogenanntes „Ghettohaus“.  Jetzt erinnern an dieser Stelle vier neue Stolpersteine an das Schicksal der Familie Wieler unter dem nationalsozialistischen Regime. Der bilinguale, also deutsch-englischsprachige Kurs der Stufe 9 hat diese Stolpersteine jetzt in Anwesenheit von Bürgermeister Christoph Tesche in einer feierlichen Gedenkstunde enthüllt. Zuvor hatten sich die Schülerinnen und Schüler mit Unterstützung der Fachlehrerin Anne Bolte über die Familie Wieler und ihr Schicksal informiert. Ihre Erkenntnisse präsentierten sie vor Ort in einer informativen und zugleich bewegenden Rede (s.u.). Begleitet wurde die Feierstunde musikalisch von Melissa Michaelidis (Querflöte) und Nina Prinz (Akkordeon). 

Hier folgt der Text der Rede, die die Schülerinnen und Schüler verfasst und vor Ort vorgetragen haben:

Stolpersteinenthüllung am 29.04.2025, 14-15 Uhr, Kellerstraße 21, Recklinghausen 

Wir haben uns heute hier versammelt als Zeichen des Respekts, den wir den Opfern des Nationalsozialismus entgegenbringen wollen. Menschen aus allen Teilen Europas litten unter dem NS-Regime, auch hier in Recklinghausen. Zu ihnen gehörte die Familie Wieler

Der Sohn der Familie war Fritz Wieler, dem einer der Stolpersteine gewidmet ist. Fritz Wieler wurde am 15.05.1904 in Wiesbaden geboren und zog gemeinsam mit seinen Eltern Bertha und Heinemann im Jahr 1909 nach Recklinghausen auf die Bochumer Straße 80. Dort betrieb die Familie einen Kolonialwarenladen.  

Nach seiner Heirat lebte er einige Jahre in Wulfen, im Elternhaus der angesehenen Familie seiner Frau Adele.  

Aufgrund ihres jüdischen Glaubens wurde die Familie verfolgt und im Jahre 1939 sahen sich Fritz und Adele gezwungen zurück nach Recklinghausen zu ziehen. Hier in der Kellerstraße 21 bewohnten sie ein Haus, welches die Nationalsozialisten später als sogenanntes „Ghettohaus“ nutzten. Gemeinsam mit zwei weiteren jüdischen Familien lebten die Wielers hier auf engstem Raum. Ein jüdischer Zeitgenosse erinnert sich später an Fritz: „[Er] war ein gutmütiger, hilfsbereiter Mensch, der immer lachte und zu Scherzen aufgelegt war.“  

Am 24.01.1942 wurde die Familie in Richtung Osten deportiert. Nach drei Tagen kamen sie im Ghetto Riga an. Durch die Kälte des Winters und Strapazen der Deportation hatten die jüdischen Menschen bereits viel erlitten. Im Ghetto herrschten furchtbare Lebensumstände. Bei dem Versuch etwas zu Essen für seine Frau zu stehlen, wurde Fritz erschossen. 

Adele Wieler war verheiratet mit Fritz und stammte aus der alteingesessenen Familie Moises in Wulfen. Die Familie war so gut angesehen, dass Adele sogar zur Ehrendame   eines Schützenfestes gewählt wurde. Das war aber vor der Nazizeit. Einige Jahre später prügelten SA-Leute sie aus dem Dorf. Von 1939 bis zur Deportation nach Riga lebte sie gemeinsam mit Fritz und ihren Schwiegereltern hier, wo wir heute stehen.  

Eine Überlebende des Ghettos Riga erzählt später, dass Adele an Unterernährung verstarb. Sie erfuhr offenbar nicht mehr von der Erschießung ihres Mannes Fritz. 

Wir möchten etwas über die Mutter der Familie erzählen, die Bertha hieß.  

Bertha Wieler wurde am 25.08.1874 in Kehlfeld in Bayern mit dem Mädchennamen Rindsmann geboren. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Heinemann Wieler bekam sie drei Kinder: Fritz, Anna und Senta. 

Ab 1939 arbeitete Bertha Wieler als Kauffrau im Kolonialwarengeschäft, das sie und ihr Mann gemeinsam führten. In ihrem Laden gab es alle erdenklichen Dinge für das tägliche Leben zu kaufen. Nachdem sie 1941 gezwungen wurde, hierher in die Kellerstraße 21 zu ziehen, lebten Bertha und ihre Familie gemeinsam mit zwei anderen jüdischen Familien auf engstem Raum zusammen. 

Nach der Deportation im Januar 1942 verliert sich Berthas Spur in Riga. Es ist unklar, ob sie bei einer Massenerschießung ermordet wurde oder durch die schrecklichen Lebensbedingungen im Ghetto starb. 

Der Vater der Familie, Heinemann Wieler, wurde am 09.01.1874 in Madfeld bei Brilon geboren. Seit 1909 lebte er mit seiner Frau und den drei Kindern in Recklinghausen-Süd, wo er sich stark in der jüdischen Gemeinde engagierte und auch Vorsteher des Männervereins Süd war. Dies bezeugt sein hohes Ansehen in der Recklinghäuser Gesellschaft. Sein Schicksal ist ähnlich wie das seiner Frau ungewiss. Auch er wurde mit knapp 1000 weiteren jüdischen Menschen nach Riga deportiert und überlebte nicht. 

Auch möchten wir heute an Berthas und Heinemanns älteste Tochter Senta erinnern. Ihr gelang gemeinsam mit ihrem Mann die Flucht nach Palästina. Die jüngste Tochter Anna wurde gemeinsam mit ihrem Mann Fritz bereits Ende 1941 nach Riga deportiert und dort erschossen. Ihre Stolpersteine liegen in Seppenrade bei Lüdinghausen. 

Geschichten wie diese zeigen uns, wie sehr wir darauf aufpassen müssen, dass so etwas nie wieder passiert. Und mit Hilfe dieser Stolpersteine wollen wir daran erinnern, dass dieser schreckliche Teil der Geschichte nicht in Vergessenheit geraten darf.  

Der bilinguale Geschichtskurs der Klassen 9 des Marie-Curie-Gymnasiums